PUBLIC SECTOR UND WIRTSCHAFT - EIN VERGLEICH


Niveau der "digitalen Fitness"

Beide Sektoren sind aus der Sicht der digitalen Transformation von Genehmigungsverfahren und digitalen Behördenservices unterschiedlich gut auf die aktuellen Herausforderungen vorbereitet. Der divergierende digitale Reifegrad macht es sehr schwierig, Behördenverfahren weiter zu transformieren und die Kunden der Verwaltung (Antragsteller) digital und medienbruchfrei in die Verwaltungsprozesse zu integrieren.

Wirtschaft:
In den Kernbereichen Produktion, Logistik und Vertrieb sind viele Unternehmen überwiegend gut bis sehr gut digital unterwegs. In den BackOffices hingegen gibt es einigen Aufholbedarf, weil dieser Organisationsbereich in der Vergangenheit meistens nicht im Fokus von technischer Erneuerung stand. Viele Systemlandschaften und Konzepte sind deshalb (noch) nicht für die zukünftigen Anforderungen der digitalen Transformation gerüstet.

Behörden und Verwaltungsorganisationen:

Die Lage ist hier deutlich anders, weil "Verwaltung" das Kerngeschäft der öffentlichen Verwaltung ist. Aktenbearbeitung, digitales Postwesen, Workflows, elektronische Identitäten und Genehmigungsprozesse, digitale Zustellung, etc. sind daher in vielen Behörden und Organisationen im DACH-Raum bereits flächendeckend vorhanden. Die aktuellen Implementierungen haben dort die klassischen, analogen Bearbeitungsmethoden teilweise oder sogar vollständig abgelöst.

Die folgende Gegenüberstellung fasst die wichtigsten Unterschiede der beiden digitalen Welten zusammen:

PUBLIC SECTOR WIRTSCHAFT
Kerngeschäftsbereiche: Abwicklung von Verfahren und Aktenverwaltung Kerngeschäftsbereiche: Produktion, Handel, Dienstleistung
nahezu alle Verwaltungseinheiten verfügen über umfassende Erfahrungen (Workflow, Archivierung, etc.) das BackOffice bzw. die Verwaltungsbereiche in den Unternehmen bleiben dabei (derzeit) deutlich im Hintergrund der Innovations- bzw. Investitionsbemühungen
E-Akten und Workflows: weitestgehend bereits Standard E-Akten und Workflows: in BackOffices selten vorhanden oder weitgehend inhomogen
in vielen öffentlichen Organisationen wird Eingangspost vollständig digitalisiert und flächendeckend elektronisch zur Verfügung gestellt viele Dokumente werden zwar digitalisiert (gescannt), die Ablage erfolgt aber ohne Metadaten bzw. in Dateisystemen mit Ordnerstrukturen
Zentrale Register/Plattformen: weitestgehend flächendeckend verfügbar Zentrale Register/Plattformen: Anbindung bzw. Integration in BackOffice-Systeme fehlt häufig
Beispiele: Unternehmens-Serviceportal (USP), Rechtsinformationsystem (RIS), Elektronisches Datenmanagement Umwelt (EDM), FinanzOnline, Sozialversicherungen, etc. es gibt auch noch rechtliche Hürden für eine Nutzung durch die Wirtschaft, daher werden Informationen oder Daten häufig manuell gesucht bzw. in die Prozesse eingeschleust
Digitale Identität (E-ID): Konzepte sind weitestgehend flächendeckend umgesetzt und verfügbar Digitale Identität (E-ID): Wissen und Verständnis für Konzepte und Einsatzmöglichkeiten sind eher gering
viele leistungsfähige, zentrale Register sind verfügbar und werden laufend ausgebaut: USP, ZMR, ZVR, AGWR, etc. das gilt sowohl für Mitarbeiter als auch für Kunden. Zwischen Unternehmen gibt es ein solches Konzept nicht (weder organisatorisch noch technisch)
E-Signatur: weitestgehend flächendeckend implementiert E-Signatur: in Prozessen und Softwarelösungen weitgehend unbekannt
Bürgerkarte, Handy-Signatur flächendeckend verfügbar, E-ID (in Vorbereitung) zwischen Unternehmen gibt es ein solches Konzept nicht (weder organisatorisch noch technisch)
E-Rechnung: implementiert und stabil verfügbar E-Rechnung: Anbindung bzw. Integration in BackOffice-Systeme fehlt häufig
elektronische Rechnungslegung ist auf Bundesebene in Österreich verpflichtend, für Länder und Gemeinden optional, E-Rechnung ermöglicht große Fortschritte in der System- und Prozessintegration zwischen Unternehmen gibt es ein solches Konzept nicht (weder organisatorisch noch technisch), außer bei einer direkten Integration von Zulieferern oder Endkunden
E-Zustellung: weitestgehend flächendeckend implementiert E-Zustellung: noch wenig bekannt
die elektronischen Aktensysteme im Public Sector sind flächendeckend bereit für die (duale) digitale Zustellung eine Anbindung bzw. Integration in BackOffice-Systeme fehlt häufig. Zwischen Unternehmen gibt es ein solches Konzept nicht (weder organisatorisch noch technisch)
E-Payment: in unterschiedlichen Formen vorhanden E-Payment: überwiegend nur in Webshops implementiert
der überwiegende Teil der Payment-Prozesse wird automatisiert und integriert ausgeführt
die meisten anderen Payment-Prozesse werden manuell angestoßen, es fehlt eine Anbindung bzw. Integration in BackOffice-Systeme
E-Archivierung: weitestgehend flächendeckend implementiert E-Archivierung: wenig verbreitet
elektronische Akten- bzw. Archivsysteme sind flächendeckend vorhanden häufig werden herkömmliche File-Systeme zur Ablage eingesetzt
Geografische Info-Systeme: GIS sind flächendeckend vorhanden Geografische Info-Systeme: GIS nur dort, wo sie in Produktions- oder Vertriebsprozessen erforderlich sind
es gibt eine Fülle von themenbezogenen Layern, die laufend aktualisiert werden (Geografie, Naturschutz, Wasser, Energie, etc.) meist sind nur jene Layer vorhanden, die speziell benötigt werden
IT-Landschaften im BackOffice: sind weitestgehend standardisiert IT-Landschaften im BackOffice: sind häufig inhomogen
es werden überwiegend Standard-Software-Systeme mit vielen Schnittstellen eingesetzt (ELAK, Plattformen, etc.) integrierende Schnittstellen fehlen häufig oder werden manuell abgewickelt
Sicherheit der Verwaltungsdaten Sicherheit der Unternehmensdaten
sehr hoch: durch dauerndes Training der technischen und organisatorischen Security durch Spam/Pishing/DOD/Hackversuche von öffentlichen IT-Landschaften unterschiedliche Niveaus in Unternehmen: das Verständnis für das Thema bzw. der Grad der Datensicherhheit korreliert häufig mit der Unternehmensgröße
Online-Angebote: viele Verwaltungsverfahren und Services werden bereits online angeboten Online-Angebote: Nutzungsgrad von elektronischen Verwaltungsservices auf Unternehmensseite ist gering
es werden immer mehr papierlose Services angeboten (mit digitaler Signatur zur Identifikation) das technische und organisatorische Vorbereitungsniveau für eine umfassende Verwendung ist noch niedrig, digitale Services werden häufig nur dort genutzt, wo die gesetzliche Verpflichtung besteht
Niveau der digitalen Transformation im Public Sector Niveau der digitalen Transformation in den Unternehmen
im Gesamtsystem ist sehr hoch, weitere Verfahren und Services werden laufend digital transformiert und Online verfügbar gemacht nur in Kernprozessen hoch (Produktion, Vertrieb, etc.), in den internen Support-/BackOffice-Prozessen der Digitalisierungsgrad häufig noch niedrig, Konzepte und Lösungen für den gesicherten Austausch von Dokumenten zwischen Unternehmen fehlen (z.B. E-Rechnungen, etc.)

Negative Auswirkungen für die Wirtschaft

  • Probleme bei der Integration: fehlendes Wissen über die elektronischen Konzepte des Public Sector (z.B. digitale Identität und E-ID, E-Rechnung, E-Payment, E-Akten, ...) verhindert die direkte Einbindung in die Unternehmenswelten, insbesondere in die BackOffice-Anwendungen
  • Elektronische Prozesse stoppen vor dem BackOffice: das aktuell unzureichende Bewusstsein für den zukünftig notwendigen Reifegrad der BackOffice-Systeme in den Unternehmen verhindert eine rasche Umstellung auf die schon elektronisch möglichen Prozessabläufe und Services zwischen Unternehmen und Behörden
  • kostspielige "Papier"-Schnittstellen bleiben: durch das Fehlen von technischen und organisatorischen Integrationsmöglichkeiten müssen die konventionellen „Papier“-Wege aufrechterhalten werden. Das führt auf beiden Seiten (Unternehmen und Public Sector) zu erhöhten Kosten und erschwert die Beschleunigung von Verfahrensabläufen erheblich (z.B. bei der Genehmigung von Betriebsanlagen, etc.)
  • Investitionsstaus entstehen: Unternehmen werden – je länger sie zuwarten – einen immer größeren Investitionsstau aufbauen. Zögerliche Vorbereitung bringt hohe Wechselkosten, die in den nächsten Jahren sehr unangenehme Folgen bzw. hohe Aufwände in personeller und finanzieller Hinsicht erfordern werden

Klare ToDo´s für Unternehmen

  • Aufbau eines erweiterten Bewusstseins: in vielen Unternehmensbereichen braucht es zusätzlich konkretes Wissen über die „elektronischen“ Themen der Verwaltung (digitale ID, elektronische Verwaltungsservices, Integration von Verwaltungsverfahren, etc.)
  • Weiterentwicklung der Unternehmenskultur: die innere Kultur muss auf allen Ebenen hinentwickelt werden zu digitalen Identitäten und der Verwendung der im Public Sector implementierten „elektronischen“ Konzepte
  • Enge Kooperation: essentiell ist auch eine enge Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung zur digitalen Transformation von Prozessen (analog zur technischen und organisatorischen Integration eines Zulieferers oder großen Kunden)
  • Fachberatung zu Spezialthemen: eine erfolgreiche Vorbereitung und Umsetzung von wichtigen Schritten der Prozessintegration bzw. der digitalen Transformationen mit Behörden und öffentlichen Organisationen erfordert die Unterstützung durch Fachberatung
  • Prozessintegration im BackOffice: Unternehmen sollten den strategischen Entwicklungsfokus zusätzlich auf die Verwaltungprozesse legen und „Fitness-Programme“ für die BackOffice-Systeme und Menschen entwickeln und implementieren

Zusammenfassung

  • rasches Handeln und gezielte Investitionen in Menschen und Technik sind gerade in den BackOffice-Bereichen notwendig, um nicht den Anschluss zu verlieren
  • digitale „Verwaltungs-Fitnessprogramme“ sind dringend erforderlich, denn sie erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit und sichern die Unternehmenszukunft bzw. die Standorte